Illustration of Paul Wazlawicks Sentence: One cannot not communicate

Wunder Kommunikation

Es gibt diesen Merksatz vom Kommunikationsexperten Paul Watzlawick, der an Unis und Schulen gelehrt wird: »Man kann nicht nicht kommunizieren.« Irgendwas an dem Satz hat mich immer gestört. Irgendwas daran habe ich nicht bloß als unzutreffend empfunden, sondern sogar als übergriffig. Dem Satz liegt ja die Idee zugrunde, dass jeder Ausdruck und jede Gebärde auch eine die soziale Sphäre betreffende Mitteilung ist. Die Mitteilung kann bewusst oder unbewusst sein, aber insofern sie von einem anderen mitteilungsfähigen Wesen wahrgenommen wird, ist sie – dem Merksatz zur Folge – ein Kommunikationsakt. Mit der Wahl unserer Kleidung beispielsweise kommunizieren wir etwas. Auch wenn es manchmal schwer sein kann, den Kommunikationsinhalt zu entschlüsseln. Und er dem Sender der Nachricht mitunter auch nicht ganz bewusst war.

Abgesehen davon, dass im Beispiel der Kleidungswahl schon bitter mit anklingt, dass das Repertoire an zur Verfügung stehenden Kommunikationsmitteln wohl von der sozioökonomischen Stellung und der Geburtenlotterie abhängt, finde ich darüber hinaus auch ein Verständnis von Kommunikation verarmt, dass sich auf ein paar wenige Momente der Entscheidung bezieht. Und noch schlimmer: potenziell entschlüsselbar ist, wenn auch mit einem stets bestehenden Restzweifel und zugestandenen Interpretationsspielraum. Die Freiheit eines Individuums und dessen Akte der Mitteilung beschränken sich doch nicht auf den Bereich der zur Wahl stehenden Wörter, Signale und Codes einer Kultur plus dem fehlenden Angebot als Negation. Das ist die kapitalistische Illusion von Freiheit: zwischen Disney, Netflix und Amazon Prime wählen zu können. Welches Streamingangebot will ich mir am liebsten auf die Fahne schreiben? Oder bin ich Filmnerd und Arthouse-Liebhaber? Dann wird es Mubi!

Ich denke, es gibt einen unerschöpflichen Bereich des Ausdrucks außerhalb des positiven Bereichs der verfügbaren Kommunikationsmittel und seiner Negation. Die Kommunikation ist nur eine kleine Insel in einem Meer der Unverfügbarkeit und Bedeutungslosigkeit. Eine Insel, die ohne Hierarchie nicht auskommt. Der Entstehungsprozess von Bedeutung in der Sprache beruht auf den Mechanismen der Hierarchisierung, Gegenüberstellung und Negation. Die Kommunikationsinsel hat also kein sehr freundliches Klima.

Der französische Historiker und Philosoph Michel Foucault schrieb – im Zusammenhang eines historisch gewachsenen Mitteilungsdrangs – vom Menschen als einem »Geständnistier«:

»Man muß schon dieser inneren List des Geständnisses vollkommen auf den Leim gegangen sein, um der Zensur, der Untersagung des Sagens und Denkens eine grundlegende Rolle beizumessen; man muß sich schon eine reichlich verdrehte Vorstellung von der Macht machen, um glauben zu können, daß von Freiheit alle jene Stimmen reden, die seit so langer Zeit das ungeheuerliche Gebot unserer Zivilisation wiederkäuen, sagen zu müssen, was man ist, was man getan hat, wessen man sich erinnert und was man vergessen hat, was man verbirgt und was sich verbirgt, woran man nicht denkt und was man nicht zu denken denkt. Ein ungeheures Werk, zu dem das Abendland Generationen gebeugt hat, während andere Formen von Arbeit die Akkumulation des Kapitals bewerkstelligten: die Subjektivierung der Menschen, das heißt ihre Konstituierung als Untertanen/Subjekte.«

Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. In: Sexualität und Wahrheit. Bd. 1. 20. Aufl. Frankfurt a. M. 2014. S. 64.

Folgende Sätze, die alle durch soziale Autoritäten gesprochen wurden, habe ich in Erinnerung behalten:

1. »Kleider machen Leute, man sendet immer eine Botschaft mit der Wahl seiner Kleidung«,

2. »Man kommt nicht drumherum, sich in einer Liebesbeziehung miteinander zu vergleichen«,

3. »Sich nicht zu entscheiden, ist auch eine Entscheidung. Nur mit einem Mangel an Verantwortungsbewusstsein«.

Die Sätze habe ich nicht bloß aufgrund ihres Absolutheitsanspruchs in Erinnerung behalten, sondern auch aufgrund der Vehemenz ihres Tons und einer Gestik der Eindringlichkeit.

1. »Kleider machen Leute, man sendet immer eine Botschaft mit der Wahl seiner Kleidung«

Wieso kann einer Wahl keine Zweck- und Bedeutungslosigkeit zugrunde liegen? Muss denn alles eine Geschichte haben? Gibt es nicht auch organische Prozesse, die sich nicht erzählen lassen? Die sich auch potenziell nicht erzählen lassen, sondern für immer im Dunkel bleiben? Begegne ich einem Menschen nicht gerade dann mit Toleranz, wenn ich ihm die Freiheit zugestehe, nichts zu sagen und nichts zu meinen?

Zu unterstellen, dass die Wahl der Kleidung unausweichlich Kommunikation ist, setzt einiges voraus: Die Permanenz des Sprechersubjekts beispielsweise. Oder – nachdem die Permanenz des Subjekts gesetzt ist – die Verbindung zwischen diesem Subjekt und dem Trägermedium der Kommunikation; wieso wird der Kleidung ein solcher Stellenwert beigemessen? Die Wahrheit ist, dass die kulturell bedingte Verbindungslinie zwischen Subjekt und Kleidung als Wahl genauso willkürlich ist, wie es eine Verbindungslinie zwischen der Stellung der Wolken über dem Kopf dieses Subjekts mit ihm wäre. Es geht ja hier nur um die soziale Bewertung, nicht um Ursache–Wirkung. Zum Erwachsenwerden gehört es gemeinhin, diese kulturelle Willkür anzunehmen und ihre Realität im Sinne des Gemeinwesens zu akzeptieren. Und bitte auf keinen Fall die Würfel neu auswürfeln, denn das könnte ja bedeuten, dass der Wert der Markenschuhe schlagartig ins kommunikative Abseits verbannt werden könnte.

Ist es nicht unreif, die Grundpfeiler des Gemeinwesens, die Permanenz oder Einflussspähre des Subjekts, auf den Kopf stellen zu wollen? – Finde ich persönlich nicht. Ich finde es dagegen unreif, sich zwar für die tagtägliche Wahl seiner Kleidung verantwortlich zu fühlen, dafür aber nicht für die tagtägliche Wahl eben dieser Grundpfeiler. Von hier aus betrachtet ist das Beharren auf der unausweichlichen Kommunikation durch Kleidung auch ein Zementieren des Status Quo und die Kommunikationsverweigerung nicht nur der rebellische Ausdruck eines unangepassten und unreifen Teenagers, sondern auch die Anrufung einer tieferliegenden Form von Verantwortlichkeit, die jenseits von Kommunikation ist.

2. »Man kommt nicht drumherum, sich in einer Liebesbeziehung miteinander zu vergleichen«

Wieder ein Argument für die Unausweichlichkeit von etwas. Ähnlich wie es nicht möglich sein soll, nicht zu kommunizieren, ist es hierbei wohl nicht möglich, dem sozialen Vergleich auszuweichen. Wenn Liebe ein Kampf um Güter und Bedürfnisse ist, mag das wohl stimmen. Das kann ja jeder für sich selbst auslegen. Aber den sozialen Vergleich in Partnerschaften zu einem universellen Gesetz zu erklären, halte ich für vermessen. Und sein Maß der Dinge für alle als gültig zu erklären – sei es auch schon die Einführung des Maßstabs selbst – ist Gewalt. Es ist eine Gewalt der Transparenz und der Angleichung, in der auch der Unwille mitschwingt, die Bereiche des Anderen bestehen zu lassen, die im vollen Sinne fremd sind und bleiben. Dem Aufruf, bitte doch einmal in die soziale Sphäre des Vergleichs mit einzusteigen, könnte auch ein fremdenfeindlicher Impuls zugrunde liegen. Hier jetzt aber getarnt als sozial.

Der Philosoph Byung-Chul Han beschreibt (mit Rückgriff auf Positionen des französischen Poststrukturalismus) die »Politik der Transparenz«, die sich grob gesagt durch eine Verhinderung von innerlichem und äußerlichem Rückzug kennzeichnet, als eine Gewaltform der Postmoderne:

»Die Transparenz geht nicht von dem freundlichen Licht aus, das das Jeweilige in seiner Jeweiligkeit, das Beliebige in seiner schönen Beliebigkeit, d. h. das Andere in seiner inkommensurablen Andersheit erscheinen ließe. Die allgemeine Politik der Transparenz besteht vielmehr darin, die Andersheit ganz zum Verschwinden zu bringen, indem sie alles ins Licht des Gleichen bannt. Die Transparenz wird gerade durch die Beseitigung des Anderen erreicht. Die Gewalt der Transparenz äußert sich letzten Endes als Nivellierung des Anderen zum Gleichen, als Beseitigung der Andersheit. Sie ist ver-gleichend. Die Politik der Transparenz ist eine Diktatur des Gleichen

Byung-Chul Han: Topologie der Gewalt. Berlin 2017. S. 130.

3. »Sich nicht zu entscheiden, ist auch eine Entscheidung. Nur mit einem Mangel an Verantwortungsbewusstsein«

Kann man sich auch nicht entscheiden? In der Regel wird Freiheit als die Möglichkeit definiert, zwischen mehreren Optionen wählen zu können. Ich denke, Freiheit beginnt gerade dort, wo ich mich auch nicht entscheiden kann. Ähnlich wie bei der Wahl der Kleidung, liegt der Mangel an Verantwortung nicht in der Entscheidungsverweigerung, sondern in einem Blick auf das Leben als eine Straße mit einer überschaubaren Zahl von Abzweigungen: der industrielle Blick auf das Leben. Es ist auch möglich, sich für keine dieser Abzweigungen zu entscheiden. Es ist auch möglich, Verantwortung zu übernehmen für den weglosen Wald, um dessen Blüte man sich sorgt, aber dessen Herr man nicht ist. Überhaupt ist ein schmaler Grat zwischen Verantwortung und Herrschaft. Und es gibt auch matriarchale Gewalt, wo Sorge umschlägt in Übergriffigkeit und eine überschätzte Empathiefähigkeit die wirklichen Bedürfnisse des Gegenübers nicht nur übergeht, sondern auch grundlegend verwirrt. Gerade die sensibelsten Wesen tappen hier am ehesten in die Falle.

Als wäre die soziale Sphäre ein lückenloses Gebilde. Als wären alle Bereiche des Lebens vom Kopf und vom Zentrum des Willens aus potenziell ausleuchtbar – aufklärbar. Dieser Absolutheitsanspruch der Aufklärung ist von der grenzenlosen und irrationalen Position der unzählbaren und unverständlichen Wirklichkeit aus geradezu witzig. Wer beurteilt, ab wann eine Entscheidung eine Entscheidung ist? Wer setzt dafür die Grenzsteine? Wer darf festlegen, was als mündig gilt und was als unmündig? Wer steckt den Bereich ab, für den man sich verantwortlich zeigen kann? Und könnte nicht auch der Mahnung an die Unausweichlichkeit einer Entscheidung der heimliche Wunsch zugrunde liegen, sich selbst einmal in die weglosen Bereiche des Lebens vorzuwagen; zurückgehalten durch die Angst, wenn niemand auf den Straßen führe, ginge gleich damit auch die Zivilisation zu Grunde.

»Primitive [sic!] Gesellschaften beherrschen die Kunst, aus irrationalen Ursachen (zum Beispiel Mythen) rationale Folgen zu erwirken (zum Beispiel die Schonung der Natur, die ihre Lebensgrundlage war). Wir leben in der entgegengesetzten Dialektik: Wir erzielen aus rationalen Ursachen mit rationalen Mitteln irrationale Folgen. Wer verhält sich nun gesamthaft rationaler? Wer kalkuliert besser? Unser Überlegenheitswahn ist selbst im Namen der Rationalität nichtig und lächerlich.«

Hans Saner: Die Anarchie der Stille. Basel 2020. S. 22.

Differenzieren und Definieren

Zuletzt: Wenn auf der winzig kleinen Insel im unendlichen Meer der Unverfügbarkeit und Bedeutungslosigkeit tatsächlich doch mal eine Kommunikation stattfindet, so ist auch diese stets durch ein Vakuum und Chaos gleichermaßen grundiert. Symbiotisch ist der Austausch sowieso nie, aber auch die Annäherung, im Bereich der Schattierungen und Grautöne, im Reich des Maßes, ist eine Annäherung im freien Fall. Um sich verständlich zu machen, braucht es einerseits die Fähigkeit zum Differenzieren und andererseits zum Definieren. Also einen Begriff beispielsweise hinreichend von anderen Begriffen abgrenzen und seine unterschiedlichen Verwendungsweisen anschaulich machen (Differenzieren); außerdem durch andere, bereits als bekannt vorausgesetzte, Begriffe beschreiben (Definieren).

Dann doch bitte einmal keine Angst davor haben, wirklich auszudifferenzieren. Bis die durch den Differenzierungsprozess hinzugefügten Aufspaltungen tumorartig zu wuchern beginnen und auf der Logik des menschlichen Geistes wilde Pflanzen wachsen. Dann doch einmal keine Angst davor haben, die Definitionsarbeit nicht schon nach dem ersten beschriebenen Wort abzubrechen, sondern die Explosion erahnen, die das exponentielle Wachstum dieser Arbeit – würde man sie ernsthaft verfolgen – mit sich brächte.

Kommunikation ist eine seltene Ausnahme und die Gelingende sogar ein Wunder. Demnach ist es aber genauso wahrscheinlich, dass auch dieser Text hier nur eine Ablenkung ist. Fragt sich nur: eine Ablenkung wovon?

Bangnis
Im welken Walde ist ein Vogelruf,
der sinnlos scheint in diesem welken Walde.
Und dennoch ruht der runde Vogelruf
in dieser Weile, die ihn schuf,
breit wie ein Himmel auf dem welken Walde.
Gefügig räumt sich alles in den Schrei:
Das ganze Land scheint lautlos drin zu liegen,
der große Wind scheint sich hineinzuschmiegen,
und die Minute, welche weiter will,
ist bleich und still, als ob sie Dinge wüßte,
an denen jeder sterben müßte,
aus ihm herausgestiegen.

Rainer Maria Rilke: Das Buch der Bilder. Zweite sehr vermehrte Aufl. 1. Buch Teil 2. Berlin, Leipzig und Stuttgart 1906. S. 45.