cat jumps against a wall

Unfähigkeit

Unfähigkeit lässt sich kaum greifen. Fehler passieren ständig. Man lernt aus ihnen. Scheitern ist zwar nicht so toll, und doch gibt es tausende aufbauende Merksätze, die auch das Scheitern als Chance für Wachstum begreiflich machen können. Aber was ist mit der unangenehmen Grenze, die dem Begriff der Unfähigkeit innewohnt? Was ist, wenn ein Stoppschild einen potenziellen Weg unbefahrbar macht? Wo die Möglichkeit abrupt und haltlos zur Unmöglichkeit wird? Wo es keine Lernerfahrung und keine Chance für Wachstum gibt, sondern eine unüberwindbare Mauer den eigenen Möglichkeitsraum übermächtig begrenzt?

Die Unfähigkeit in ihrer vollen Blüte kann eine jener Grenzerfahrungen sein, die auch die Sprache stocken lässt. Was soll man hier auch noch groß sagen? Es funktioniert eben nicht, hat nie funktioniert und wird auch nie funktionieren. Die vorausgesetzte und in der Vorstellung angedichtete Fähigkeit verkehrt sich in Unfähigkeit. Sie ist Stoppschild, Abbruch und die unbarmherzige Negation der Erwartung. Der Schriftsteller Franz Kafka hat das Unfähigkeitsgefühl immer wieder eindrücklich in Worte gebannt und darf fortan sogar mit seinem Namen adjektivisch für eine Erfahrung herhalten, die auch die Erfahrung der Unfähigkeit berührt: »kafkaesk«. Ein Beispiel:

Wunsch, Indianer zu werden

»Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glattgemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.«

Franz Kafka: Wunsch, Indianer zu werden. In: Ders., Drucke zu Lebzeiten. Hrsg. v. Wolf Kittler, Hans-Georg Koch und Gerhard Neumann. Frankfurt a. M. 1994. S. 32f.

Der dem galoppierenden Rhythmus des Pferdes gleichende Satz schließt eine Möglichkeit auf, eine Wunschvorstellung, die im selben Atemzug schon wieder verneint wird. Man ist gerade noch dabei, alle die Assoziationen ins Bewusstsein zu rufen, die mit dem »Indianerwunsch« daherkommen mögen, nur um im nächsten Augenblick schon wieder davon loslassen zu müssen. Der Konjunktiv verkehrt sich, ohne Vorwarnung, in den Indikativ. Und zwar in keinen, der die Möglichkeit Wirklichkeit hat werden lassen, sondern in einen, der Möglichkeit und Wirklichkeit gleichermaßen in ein Nichts stürzt. Und zwar unerbittlich und viel zu schnell: schon!

Wortverwandt mit »Unfähigkeit« ist »Impotenz«. Das kann man auch ganz wörtlich nehmen. Was ist denn Impotenz anderes als ein uneingelöstes Versprechen, eine unerfüllte Erwartung, ein unverwirklichtes Potenz-ial? Etwas, das seine ihm zugedachte Funktion nicht erfüllt. Das Pferd ist Symbolbild für Kraft, Schönheit und Schnelligkeit. Wir messen sogar die Leistung in PS (Pferdestärken) und geben damit vor, wie viel Kraft für etwas denkbar ist. Die Pferdestäke ist keine Substanz, sondern eine Funktion, ein imaginär vorgezeichneter Weg. Ein Weg, den sich das Pferd nie selbst ausgesucht hat: »Historisch gesehen wurde als Pferdestärke die durchschnittliche nutzbare Dauerleistung eines Arbeitspferdes verstanden« (Wikipedia).

Das sich verweigernde Pferd will gezähmt sein. Seine wilde Kraft – in einem Moment ungestüm das Tier über die Prärie treibend, im nächsten Moment erschlaffend, kostbare Verweigerung der Potenz in rastender Ruhe – will sich der Mensch nur ungern als unbeherrschbare Naturkraft denken. Lieber gleich satteln und die Unverfügbarkeit und Unberechenbarkeit dieses Tieres, das nie eingewilligt hat, Symbolbild für Kraft, Schönheit und Schnelligkeit zu sein, in eine Funktion überführen, die erfüllt sein will. Das sich verweigernde Pferd ist ein Esel! Oder noch schlimmer und widerspenstiger: ein Ziegenbock!

Wie kränkend und spöttisch kommt in dem Zusammenhang Kafkas existenziell negierter »Indianerwunsch« daher, in dem stückweise »Hals« und »Kopf« des Pferdes der Vorstellung entzogen werden. War wohl nichts mit Pferdestärke! Lapidar beschlossen durch einen Punkt.

Die Unfähigkeit ist undenkbar oder zumindest schwer denkbar. Lieber wird der Blick abgewendet. Unfähigkeit kann beschämen. Wie eitel stiehlt sich die Katze davon, die gerade ihren vorauskalkulierten Sprung verfehlt hat? Hoffentlich hat das niemand gesehen! Der gelingende Sprung liegt doch aber in der Natur der Katze, ist ihr als Programm und Funktion in den Leib geschrieben?

Dann lieber dazu anspornen, es oft genug zu probieren. Nicht aufgeben! Das Gelingende ist so viel leichter anzusehen. Fehler und Scheitern sind, wie gesagt, wenigstens auszuhalten. In ihnen bleibt beschwichtigend die Möglichkeit als Zukunft enthalten. Und wenn dann doch der angedachte Weg durch eine unüberwindbare Mauer blockiert scheint, erträgt es sich leichter – gleich einem Zaubertrick – die Unüberwindbarkeit in Vokabeln der Pathologie zu verwandeln. Wenn die Unfähigkeit absolut, also nicht kurierbar ist, dann soll sie doch wenigstens erklärbar sein: Es muss doch machbar sein! Wenn es das nicht ist, braucht es dafür eine Erklärung! Vielleicht verweigert sich jemand absichtlich, weil er möchte, dass Andere die Verantwortung und Arbeit übernehmen: strategische Inkompetenz. Was für ein Esel! Was für ein Ziegenbock!

(Es ist glaube ich klar, wer uns dort aus den wenigen noch übriggebliebenen Fugen eines Bauwesens zuraunt, das sich aus Machbarkeitsglaube und pathologischen Diagnosen zusammensetzt: ein schwarzer Umhang und die Sense.)

Die absolute Unfähigkeit ist das bitterliche Ende der Wirklichkeit und Möglichkeit. Sie ist ein schwarzes Loch und eine unüberwindbare Mauer. Sie gemahnt an das Ende, das immer zu früh kommt. Aber sie ist auch das ungestörte, weil ungesehene und ungesattelte Pferd. Sie ist widerspenstig gegen den omnipotenten Machbarkeitsglauben unserer naturbeherrschenden Gegenwart. Sie ist die ungern vernommene Schelte gegen das argumentum ad populum der Leistungsgesellschaft. Sie ist die Revolte gegen den Totalitarismus von Erzählung und Erklärung. Sie ist die Desillusionierung der vermeintlichen »Dauerleistung eines Arbeitspferdes«. Sie ist das Stoppschild, das den überheblichen Geist des Menschen in seine Schranken weist. Sie ist der frühzeitige Samenerguss einer mit Erwartungen geschwängerten Liebesnacht. Sie ist ein Anti-Witz. Ein Refugium der Sinn- und Grundlosigkeit innerhalb der Überpräsenz von Deutung und Argumentation. Sie ist der Schatten in einer überbelichteten Welt. Sie ist Frodo ohne Sam. Sie entzieht sich dem Herrschaftsanspruch der Zuschreibung. Sie ist Bollwerk gegen die narzisstische Anforderung. Sie ist weder aktiv noch passiv. Sie verabschiedet den Dualismus von »Tun« und »Sein«, denn sie ist die Aufhebung von Wirklichkeit und Möglichkeit. Sie ist der Abgrund des Selbstbewusstseins, Feind der Psyche, höhnische Entkräftung funktionalistischer Vorannahmen, rückwärtsgewandte Attacke gegen das Axiom, Erzittern des Fundaments. Sie ist das äußerste Ende von Regression und Progression, Autonomie in vollkommener Lähmung, Sprache der Stille, Erschöpfung der Worte. Sie ist die Geburtsstunde der ästhetischen Anschauung. Sie ist Abbruch und unbeschriebenes – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –