Es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund noch am Intelligenzbegriff festzuhalten. Alle Versuche, zu definieren, was Intelligenz ist, scheitern. Problemlösung? Wer definiert denn, was ein Problem ist und wann es gelöst ist?
Intelligenz ist im gelebten Leben – also außerhalb seiner Idee als geistiges Ideal – nur eine Machtkategorie. Eine besonders hartnäckige und subtile. Es ließe sich genauso gut die Kategorie der »Kurzfingler« einführen. Alle Menschen mit kürzeren Fingern als ein bestimmtes Durchschnittsmaß würden darunter fallen.
Das einzige Wort zur Verteidigung (das mir einfällt) ist, dass intelligente Menschen aufgrund ihrer Intelligenz besonders dazu beitragen, unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen. Aber ist das so? Mit Moral hat Intelligenz schließlich nichts zu tun. Es sei denn man bedient sich Forrest Gumps Definition: »Dumm ist der, der Dummes tut«. Dann wäre derjenige intelligent, der »Intelligentes« tut. Wie zum Beispiel jemandem helfen? Der aufrichtige Akt der Fürsorge braucht aber keine Intelligenz und muss noch weniger so bezeichnet werden. Intelligente Menschen, im Sinne der Fähigkeit zur Problemlösung, können ausgetüftelte Folterapparate konstruieren. Oder Atombomben.
Man kann den Intelligenzbegriff um Dimensionen des Sozialen oder um Emotionen und den Körper erweitern und immer weiter aufweichen. Am Ende bleibt aber nichts übrig als noch kompliziertere und unüberschaubarere kategorische Gebilde, mit denen nichts gewonnen ist. Besser die Kategorie der »Intelligenz« an der Wurzel packen und ausreißen.
Der Kern der Kategorie im gelebten Leben ist Macht und deren Legitimation. Wer sich auf eine bestimmte vermeintlich intelligente Weise ausdrückt, darf mitreden. Wer Intelligenz ausstrahlt, wird bevorzugt. Wer in der Schule gute Noten hat, wird als intelligent eingestuft und hat fortan bessere Chancen – überall. Dabei ist die Schule genau auf eine bestimmte Form des Denkens, der Lebenseinstellung, des Sozialverhaltens ausgerichtet, die eben jene »Intelligenz« als intelligent einstuft. Die, in der Analogie gesprochen, die »Kurzfingler« mit den besten Noten belohnt. Wie willkürlich.
Warum nicht die Liebesfähigkeit eines Menschen beurteilen? Weil das absurd wäre. Die Beurteilung selbst entspringt ja schon einer Verabschiedung vom Liebesgedanken. Die Beurteilung knüpft Liebe an Bedingungen. An Besser und Schlechter. An Gewinner und Verlierer. An Machthaber und Unterdrückte. Die Standarteinstellung hierbei ist – voll verständlich – möglichst viel dafür zu tun, auf der Seite der Machthaber zu sein, auf der Seite derjenigen, die aufgrund ihrer besseren Noten beispielsweise, mehr vom Kuchen abbekommen. Oder existenziell abgesichert sind, umsorgt sind. Aber auch die Fähigkeit zur Sorge, zum Kümmern, ist in unserer Gesellschaft nicht an den Intelligenzbegriff geknüpft und schon gar nicht an ein hohes Prestige oder andere Vorteile. Im Gegenteil.
Es wird nicht zustande kommen, dass die Liebenden und Kümmernden unserer Gesellschaft im Ansehen steigen oder mehr verdienen. Deswegen sind sie ja die Liebenden und Kümmernden: weil sie sich zurücknehmen. Aber es kann zustande kommen, dass die Nehmenden ein bisschen weniger nehmen, die Unersättlichen auf ein noch weiteres Stück vom Kuchen verzichten, die Intelligenten aufhören, solche Kategorien wie Intelligenz hochzuhalten, endlich einmal mutig genug dazu sind, anzunehmen, dass für sie gesorgt sein wird, auch ohne ein Mehr an Kuchen oder Intelligenz. Liebe ist keine begrenzte Ressource. Und der Tod kommt sowieso.