Ewige Wiederkunft
© Björn Höller

Ewige Wiederkunft

In der transzendentalen Meditation gibt es eine Methode, die jedes Kind vermutlich selbst schon einmal entdeckt hat. Man nimmt sich ein Wort, egal welches, und wiederholt es so oft, bis es jeden Sinn verliert. Erst macht sich die materielle Dimension bemerkbar, der eigentümliche Klang des Wortes. Dann schieben sich die feinen Nuancen in den Vordergrund. Und zu guter Letzt versetzt die ewige Wiederholung in einen narkotischen Zustand der Trance. Die permanente Wiederholung reißt das Wort aus ihrem Zusammenhang und verweigert durch diese Entwurzelung die Zuweisung von Sinn. Logik und Kausalität werden durch die ewige Rückführung auf ein und denselben Punkt ganz einfach eingestampft. Wie der treibende unaufhörliche Beat eines Technolieds, bewirkt die zauberhaft beschwörende Wiederholung einen Zustand der Ekstase. Die Rückführung auf das eine Wort ist immer auch eine Rückführung zum gelebten Moment hin. Die ewige Reihe ist unendlich erweiterbar (um dasselbe Wort), aber sie ist auch einmalig, denn es gibt immer nur den einen Moment der Aussprache, der fühlbar auch immer weiter zusammenschrumpft.

Friedrich Nietzsche hat eine Theorie entwickelt – eigentlich ein sehr simpler Gedanke, der seine Sicht der Dinge aber grundlegend ändern sollte –, die Ähnlichkeiten mit dem kontinuierlichen ekstatisch verzaubernden Technobeat hat. Allerdings um eine kosmische und existenzielle Dimension erweitert. Es gibt Haufenweise Fachliteratur zu dem Gedanken und wahnsinnig komplexe Erklärungs- und Einordnungsversuche. Dabei ist die Theorie so schlicht, dass sie eigentlich keiner Erklärung bedarf: Was wäre, wenn sich unser gesamtes Leben unendlich oft in der gleichen Weise wiederholen würde? In Nietzsches Worten:

»Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: ›Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge […]. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!‹«

Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft. In: Kritische Studienausgabe. Bd. 3. S. 570

Der Gedanke ist logisch nicht schwer nachzuvollziehen und zunächst vielleicht nur ein weiteres anregendes philosophisches Gedankenexperiment unter vielen. Interessant! Stimmt, wie würde ich denn mein Leben leben, wenn die Theorie wahr wäre? Ein lohnenswerter Zeitvertreib vielleicht, über solche Dinge zu grübeln, aber doch gar nicht so spektakulär? Wie kommt es dann, dass Nietzsche immer wieder darauf hingewiesen hat, wie wichtig dieser Gedanke sei und nicht nur das, sondern dass ihn dieser Jahrhundertgedanke überfiel und von nun an sein gesamtes Schaffen grundieren sollte:

»[D]er Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, diese höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann –, gehört in den August 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: ›6000 Fuss jenseits von Mensch und Zeit‹. Ich gieng an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgethürmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir der Gedanke. –«

Friedrich Nietzsche: Ecce Homo. In: Kritische Studienausgabe. Bd. 6. S. 335.

Ich denke, die Schwierigkeit, diese Idee Nietzsches in Gänze nachzuvollziehen, besteht deshalb, weil mit einem rein logischen Nachvollzug überhaupt nichts erreicht ist. Die Theorie ist keine rationale Erkenntnis, sondern – und so schildert Nietzsche sie auch – eine mystische Erfahrung. Eine »unendliche Wiederholung« sprengt gemeinhin die Vorstellungskraft. Sie würde ja auch die Entgrenzung meiner selbst bedeuten. Jeder hat vermutlich eine explizite oder implizite existenzielle Konzeption seiner selbst. Die gängigste Konzeption lautet vermutlich ungefähr so:

»Ich bin ein begrenztes endliches Wesen in einem riesigen schwer noch überschaubaren Kosmos. Irgendwann sterbe ich und die Existenz des gesamten Kosmos geht mich dann nichts mehr an. Dann kommt ein dunkles Nichts, wie vor der Geburt oder irgendein Jenseits wird sich mir offenbaren. Mal sehen. Ich kann es nicht wissen.«

Nietzsches Gedanke der Ewigen Wiederkunft fordert diese Konzeption heraus. Es folgt ja auch eine gesamte Lebenseinstellung aus der jeweiligen Konzeption. Vielleicht folgert jemand, er müsse, da er ein endliches Wesen ist, unbedingt dafür sorgen, dass er dieses und jenes erlebt hat, bevor er abtritt (die Bucket-Liste). Was ist aber, wenn es nie irgendein Außerhalb, ein Jenseits oder ein dunkles Nichts gibt, vor dessen Hintergrund unser Leben seine Bedeutung und seinen kostbaren Status erhält? Was ist, wenn sich alles, was wir erleben, ganz einfach unendlich und ohne Ausflucht wiederholt, und wiederholt, und wiederholt, und wiederholt …?

Dann bleibt einem nichts mehr, auf das man sich berufen könnte. Es wird keinen Zeitpunkt geben, an dem sich das Gefühl, ein isoliertes Wesen in Raum und Zeit zu sein, plötzlich einstellt. Es wird kein morgen und keinen Tag der Abrechnung geben, an dem wir uns vor irgendwem zu verantworten hätten. Es wird keine familiäre Vereinigung im Jenseits geben. Überhaupt wird es gar keine Vereinigung geben. Alles was bleibt und ewig bleibt, ist dieses Gefühl und dieses Leben, jetzt gerade.

Was der Gedanke also auslösen kann, lässt man ihn an sich heran, ist die uneingeschränkte Übernahme von Verantwortung für das eigene Dasein. Es bleibt nichts anderes übrig, als in sich selbst den Schritt zu vollziehen, der notwendig ist, um seinem Leben Sinn zu geben. Ein Leben, das nirgends mündet, das von niemandem abgesegnet werden wird, das niemand auszeichnen wird, das keine Sonderstellung hat, das nicht in einem größeren Ganzen eingebettet ist, dem keine Katharsis zuteil wird, das sich nicht irgendwann erklärt, das immer eine Bewegung ohne Ankunft bleiben wird, das sich ewig wiederholt.

»Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins. Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins. In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.«

Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. In: Kritische Studienausgabe. Bd. 4. S. 272f.

Zum Nachlesen: Das größte Schwergewicht

Zitiert aus:
Nietzsche, Friedrich: Die fröhliche Wissenschaft. In: Kritische Studienausgabe. Hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari. 2., durchgesehene Auflage. München 1999.