LA EXPLANADA: ACEITUNAS DESHUESADAS SABOR ANCHOA
© Björn Höller

ACEITUNAS DESHUESADAS

Es war ein Dienstagnachmittag, an dem es passiert ist. Ein Tag wie jeder andere. So meinte ich. Nur da konnte ich noch nicht wissen, dass dieser Nachmittag eine Zäsur darstellen würde. Dass es von da an nur noch ein Leben davor und ein Leben danach geben sollte. Weder hatte ich mich darauf eingestellt, noch habe ich irgendeine Aktivität in mir empfunden, die mich endlich zu dem hinführen sollte, was mich seitdem verwandelt hat. Unumkehrbar.

Es ist eine Binsenweisheit, dass wir in dem Moment finden, wonach wir ein Leben lang gesucht haben, wo wir mit der Suche aufhören. Aber das Schöne an Binsenweisheiten ist, dass sie meistens wahr sind. Nur sind sie keine Ratschläge, die wir befolgen könnten, um ein besseres Leben zu führen, sondern – so meine Erfahrung – eine Zusammenfassung und Schlussfolgerung intensiv empfundener Erlebnisse.

Jeder, der schonmal den Punkt erreicht hat, wo er oder sie alle Bemühungen um etwas aufgegeben hat, wo sich die Einsicht in voller Blüte entfalten durfte, dass das Objekt der Sehnsucht nicht zu greifen ist, nie zu greifen sein wird, der oder die wird vielleicht auch darauffolgend die Erfahrung gemacht haben, dass genau an jenem Punkt der vollendeten Aufgabe das Sehnsuchtsobjekt näher nicht sein könnte. Leider kann man nicht bewusst entscheiden, seine Suche zu beenden, damit einem zufliegt, wonach man suchte. Das wäre gecheatet. Deshalb ist die Binsenweisheit auch kein Ratschlag.

In meinem Fall ging es um ein seit jeher vorherrschendes Gefühl innerer Leere. Das Gefühl, nicht ganz zu sein. Irgendwie fehlt da was und alle Versuche, die Lücke zu schließen, laufen ins Leere. Nach einem anstrengenden Dauerlauf überfällt einen doch manchmal dieser unbändige Durst. Das kennt vermutlich jeder. Ein Durst, der irgendwie noch durstiger ist, als der gewöhnliche. Was aber, wenn es kein Wasser gibt, das diesen Durst stillen könnte? Was, wenn der Durst ein Lebensgefühl ist? Dann kommt nach etlichen Versuchen, in den entlegensten Ecken doch noch ein durststillendes Wasser zu finden, die Einsicht, dass es ein solches Wasser nicht gibt. Und nie geben wird.

Und dann, letztlich, kommt der Moment, in dem sich die Binsenweisheit als wahr erweist. Ich höre auf zu suchen und überall finde ich Wasser! Mein Wasser – jenes, das auch noch den extravagantesten Durst zu stillen in der Lage ist – offenbarte sich mir an dem eingangs erwähnten Dienstagnachmittag. Ein Nachmittag also, der befreit war von jeder Suchbewegung. Ja, überhaupt von jeder gezielten Bewegung. Ein Einkauf wie jeder andere. Im Korb das übliche Zeug. Der Supermarkt altbekannt. Das Sortiment, so meine Vorannahme, bereits vertraut. Routinierte Automatismen, die meine Bewegungen für mich ausführen. Aber Moment mal! Was mache ich? Warum gehe ich jetzt zu dem Regal? Wie von Geisterhand gesteuert treibt es mich zu dem Regal, in dem die Oliven stehen. Ja, stimmt schon. Ich habe lange keine Oliven mehr gekauft. Aber das hatte auch seinen Grund! Bin ich nicht immer irgendwie unbefriedigt zurückgeblieben, nachdem ich Oliven gegessen habe? War es nicht immer so, dass ich Oliven als ein uneingelöstes Versprechen empfunden habe? Eine Idee und Andeutung vielleicht, aber keine für sich alleinstehende Aussage. Salzig, aber nie salzig genug. Eigenwillig, vor allem die grünen Oliven, aber nie eigenwillig genug. So war der Geschmack von Oliven für mich eher ein Potenzial als eine Tatsache und ihr Verzehr, wo sie doch immer wieder in meiner Vorstellung ihre eigentlichen Möglichkeiten als unerreichbares Ideal provozierten, letztendlich frustrierend. Bis zu jenem schicksalhaften Dienstagnachmittag.

Ich hatte die Suche nach solchen Oliven aufgegeben, ja wirklich ganz aufgegeben, die nicht bloß ein uneingelöstes Versprechen sind. Ich hatte mich, nach einer Phase des Trauerns und Abschiednehmens, damit abgefunden, dass es die Oliven, die ich suche, einfach nicht gibt. Dass meine Idee von einer perfekten Olive dem unstillbaren Leeregefühl in mir entspringt. Ich war jetzt bereit, diese vermeintliche Tatsache zu akzeptieren. Und doch griff meine Hand ins Olivenregal. Ein Glas, so unscheinbar und nichtssagend, wie meine Stimmung an jenem Dienstagnachmittag. Kaum Text. Nur der Markenname, ein darauffolgendes »gourmet« und eine Zeile in spanisch, die ich nicht verstehe. Die Zeile bedeutet nichts für mich und damit sogleich auch alles. In ihr ist, weil ich sie nicht verstehe, alles enthalten: der gesamte Sinn meiner vorangegangen Suche und jetzt vor allem auch das Ende meiner Suche. »ACEITUNAS DESHUESADAS SABOR ANCHOA«: Für mich klingt das wie ein Zauberspruch, wie eine Beschwörung in nur vier Worten! Und ich bin irreversibel verzaubert.