A_surreal_sketchy

Pickup-Shop

Gestern habe ich ein Paket vom Pickup-Shop abgeholt. Ich bin mit dem ausgeliehenen E-Roller dorthin gefahren, um ein Bügelbrett abzuholen. Ich hatte die Zeit im Blick, als ich den Kiosk betreten habe. Ich konnte die Fahrt in der E-Roller-App nicht beenden, da ich außerhalb der Zone geparkt habe. Deshalb – so meine Idee – fix in den Kiosk, Personalausweis vorzeigen und sofort wieder zurück zum Roller.

Der mürrische Kioskbesitzer kramt und kramt im Pakethaufen. Ein Haufen voller verpackter Gegenstände, die irgendwo hingehören und die irgendjemand erwartet. Ich schaue mir das Regal mit den Zigarettenschachteln hinter dem Tresen an. Aufgeräumt und sortiert türmen sich allerlei bunte Schachteln auf wie in einem Bücherregal. Ich spiele mit dem Gedanken, eine dieser Schachteln aufzulesen, um eine neue Sucht anzufangen. Aber vielleicht sollte ich mir lieber irgendeine andere Sucht suchen oder es lieber ganz sein lassen. Mein Blick wandert an den Schachteln vorbei zum Kioskbesitzer, der jetzt bis zum Hals im Pakethaufen steckt und noch nicht aufgehört hat, zu kramen und Buchstabenketten abzugleichen. Erst jetzt fällt mir auf, dass hinter dem Tresen, da wo die bunten Zigarettenschachteln in jedem Kiosk aufgereiht sind, in diesem Kiosk tatsächlich ein Bücherregal ist.

Ich beuge mich vor, um die einzelnen Titel in diesem – wie es scheint – präzise kuratierten Regal zu lesen: »Ausschweifung – Eine unterschätzte Ressource«, wohl ein Sachbuch, denke ich. Direkt daneben »Urwüchsig – Über die Funktionsweise organischer Prozesse und die Refutation dialektischer Interpretationsweisen samt einem unvollständigen Register funktionaler als auch dysfunktionaler Knotenpunkte«, eigenartiger Titel, aber vermutlich irgendein altertümliches naturwissenschaftliches Fachbuch. Die Buchstaben des Buchs darüber kann ich nur schwer entziffern. Dort scheint in großer verschnörkelter Zierschrift so etwas zu stehen wie »Antarktika« und daneben in kleinerer Schrift: »Willibalds wirre Reise zu den Sternen. Erster Band.« – »Einen Moment noch, ich glaube ich hab’s gleich!«, hallt es von Ferne her zu mir rüber. Es ist die Stimme des Kioskbesitzers, der mittlerweile gänzlich im undurchdringlichen Pakethaufen verschwunden ist.

Ich schaue nach draußen zu meinem nicht verriegelten geliehenen Roller. Obgleich ich ungeduldig bin, animiert mich das fantastische Regal hinter dem Tresen dazu, meine Gedanken ein wenig schweifen zu lassen: »Kann man auch wortsüchtig sein? Sollten Metaphern mit Warnhinweisen versehen werden?« Ich denke auch an die Sentenz einer meiner alten Lieblingsphilosophen: »Es ist leichter, einer Begierde ganz zu entsagen, als in ihr Maß zu halten.« – Glücklicherweise werden meine Gedankengänge vom Kioskbesitzer jäh unterbrochen, der nun – wie ein Wettkampfschwimmer – kraulend aus dem Pakethaufen auftaucht und triumphierend verkündet: »Ich hab’s!«