A_surreal_luminous

Erklärungen

Es gibt kaum einen Ort, an den sie nicht heranreicht. Noch im hinterletzten Schattenfeld belagert sie die ungesehenen Stellen mit ihrem expansiven Willen. Sie hat ein Zittern als Ausgangspunkt, ein leichtes Schaudern über ein unsicher gewordenes Fundament und versucht immerfort die Frage mit einer Antwort zu verdrängen: die Erklärung.

Sicherlich ist die Welt entzaubert, seitdem wir meinen zu wissen, wie alles funktioniert. Fragen stellen lohnt sich nach wie vor, wenngleich die Antwort nicht nur ein Griff zum Smartphone weit entfernt liegt, sondern zur Abwehr von bösen Geistern dient.

Stell mal den Inhalt einer Frage für einen Moment ab und dreh den Ton auf. Hör dir den Atem des Fragenstellens an und die Intonation. Welche Sehnsucht steckt in ihrem ausgedehnten Klang? Will die Frage eine Antwort? Ja, irgendwie schon. Aber irgendwie auch nicht: die Antwort nimmt ihr das Existenzrecht. Und kommt sie schnell, hat sie sie vielleicht nicht einmal wirklich gesehen. Das Verlangen der Frage ist auch ein Verlangen nach sich selbst, ein Verlangen danach zu bestehen und zum Ausdruck zu kommen.

Ich glaube wirklich, dass wir uns sehr darin irren, Vieles erklären zu können. Ich glaube, dass die Erklärung oft nur das schnelle und unbedachte Herunterschlingen einer Mahlzeit ist. Was für ein Abenteuer ist der nächste Happen eigentlich? Wie unendlich facettenreich sind die Nuancen seines Geschmacks? Zerfällt nicht jeder wahrgenommene Ton seiner Komposition in zahlreiche weitere Teile und diese wiederum?

Ich habe jedenfalls schon abertausende Konzepte und Theorien, letztlich Erklärungen, zu allen möglichen Dingen aufgesogen wie ein Schwamm. In der Uni war ich klatschnass. Erklärungen liefern Handlungsschemata, setzen Grenzen, für einen selbst und für die Welt, in der man sich bewegt. Und nichtsdestotrotz sind doch alle die wichtigen Dinge – die Dinge, an denen auch die Sprache versagt, wenn sie zu wörtlich gemeint ist – unberührt von Erklärungen. Millionen Theorien habe ich zur Liebe gehört, Millionen davon gehen fehl. Und Liebe ist nur ein Stellvertreterwort für all die anderen Fragen, die darum ringen, (unbeantwortet) bleiben zu dürfen. Es sind die schlecht definierten Wörter, die bedeutungsoffen einen Schutzschild gegen jede Erklärung bereitstellen.

Es mag schon sein, dass die unbeantwortete Frage in Angst und Bange versetzen kann. Sie zerfließt in Ordnungslosigkeit. Aber erst die Hast im Chaos erzeugt das Bangegefühl. Davon abgelassen, wird die Frage zur Musik, die kein Woher und Wohin braucht. Von hier aus betrachtet ist vieles verzaubert.